Meditation mit allen Sinnen über Kluntje und Wulkje
Die Ostfriesen trinken weltweit am meisten Tee – 300 Liter pro Kopf jährlich! Sogar mehr Tee als in England oder in der Türkei wird hier täglich konsumiert. Die Teekultur Ostfrieslands wurde im Jahr 2016 in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen und ist immer noch in Privathäusern und in Teestuben in der ganzen Region präsent.
In Ostfriesland wird traditionell Schwarztee getrunken. Nur tatsächlich in Ostfriesland gemischter Tee darf als „Echte Ostfriesische Mischung“ bezeichnet werden und diese muss mindestens 50% Assamtee enthalten. Dies gibt einen charakteristisch würzigen Geschmack und eine dunkle Tassenfarbe. Verfeinert wird die Mischung je nach Anbieter durch die Zugabe von unterschiedlichen Mischverhältnissen von beispielsweise Darjeeling oder Ceylon. Mit jeder Teeernte verändert sich der Geschmack leicht, was Teil dieses besonderen Naturprodukts ist aber was auch durch erfahrene Teemischer durch die Zusatz-Sorten angeglichen werden kann. Tee kam ab dem 17. Jahrhundert durch den Überseehandel der europäischen Mächte nach Europa. Ostfriesland hat seit jeher durch die Hanse einen internationalen Einfluss erfahren und so wurde der Tee auch schnell als täglicher Brauch angenommen. Anfangs noch ein Getränk der Oberschicht war er zu Ende des 18. Jahrhunderts, noch immer teuer aber dennoch zugänglicher, in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Insofern spielt Tee in Ostfriesland seit weit über 150 Jahren eine führende Rolle in der lokalen gastronomischen Tradition. Der ostfriesische Broken ist eine besondere Art der Verarbeitung. Im Broken-Tee befinden sich Blattfragmente, die Blätter des Tee-Strauchs sind also zerkleinert worden wodurch sie bei Kontakt mit heißem Wasser schneller ihren Geschmack abgeben und eine schöne dunkle Tassenfarbe erzeugen.
Tee wird vor Ort noch heute im Stil der ostfriesischen Teezeremonie serviert. Dabei gehören Kandiszucker, Sahne und Gebäck dazu. Eine ostfriesische Teezeremonie läuft folgendermaßen ab:
Der Tee wird in einer dickbauchigen Kanne zubereitet. In die Tasse (Koppke) wird ein Stück Kandiszucker gelegt – der Kluntje. Dafür wird der Kluntje mit der Kluntjezang aus dem Kluntjepott (der Zuckerzange aus der Zuckerdose) genommen. Früher, bevor Zucker feiner verarbeitet wurde, mussten die Kluntje noch mit einer Beißzange, dem Kluntjeknieper, von einem Zuckerhut abgeknipst werden. Danach wird der zwischenzeitlich gezogene Schwarztee über den Kluntje gegossen, der dabei durch die plötzliche Hitzeeinwirkung angenehm knistert und knackt. Mit einem tiefen Löffel wird Sahne aufgenommen und um den Rand der Teetasse entlang in den Tee fließen gelassen. Dabei sinkt die Sahne zuerst ab und steigt dann in Form von Wölkchen (Wulkje) wieder in der Tasse auf. Kurz innezuhalten und ruhig die Wulkje zu betrachten macht aus der Teezeremonie eine meditative Erfahrung. Daher wird auch nicht umgerührt! Wie in der japanischen Teezeremonie, die aufgrund ihres entspannenden Charakters historisch besonders durch die in ständiger Gefahr lebenden Samurai geschätzt und verbreitet wurde, bietet die ostfriesische Zeremonie ebenfalls Momente des Besinnens auf Gehör, Sehsinn und Geschmack im Beisein von Gästen. Der Alltag entrückt für kurze Zeit und nur das Hier und Jetzt zählt.
Nachgegossen wird der Tee über dasselbe Stück Kluntje in der Tasse, wodurch sich der Geschmack von Tasse zu Tasse leicht verändert und süßer wird. Zucker und Sahne waren in der Vergangenheit besonders luxuriöse und willkommene Zusätze im Tee, da sie dessen Nährwert steigerten. Nach Ostfriesenrecht stehen einem Gast drei Tassen Tee zu – kräftig Nachschenken ist also Gesetz! Zusätzlich werden zum Tee gerne Gebäckstücke gereicht, wobei traditionell die erste Tasse getrunken wird bevor man zum dargebotenen Gebäck greift, um dem Tee die volle geschmackliche Aufmerksamkeit zu geben.
Ostfriesischer Tee und die Teezeremonie stehen durch die Utensilien wie Kuntjezang und Pott in enger Verbindung zu lokaler Handwerkskunst wie Filigranarbeiten in Silber und der Stövchenherstellung aus Messingplatten. Teedosen waren ihrem luxuriösen Inhalt gerecht oft besonders aufwändig gearbeitet und so auch die Kluntjezang und die Rahmlöffel. Ostfriesland ist besonders bekannt für seine Filigranarbeiten, bei denen Silberdraht in feine Muster gelegt wird. Noch immer praktizieren Kunsthandwerker:innen Filigran in Ostfriesland. Diese finden Sie auf der Homepage von Craft Around Me in der Suchfunktion durch das Filtern nach ‚Schmuck‘ für ostfriesische Standorte. Stövchen für die Teekanne sind heute oft aus Porzellan, in Ostfriesland jedoch traditionell aus händisch aufwändig durchbrochen gearbeiteten Messingplatten mit Mustern. Dadurch bekam das darinstehende Teelicht Sauerstoff und gab durch die Öffnungen flackernd sein Licht ab. Da Metall Wärme besonders gut leitet, bieten diese Stövchen sowohl dem Tee als auch den Versammelten eine wohlige Atmosphäre.
Wer mehr über ostfriesischen Tee vor Ort lernen möchte, der kann zudem das Teemuseum in Norden, Ostfriesland, besichtigen.
Notiz: Dieser Beitrag ist nicht gesponsort. Craft Around Me hat das Museum aus freien Stücken besucht und ist in keiner Weise mit dem Museum oder anderen Institutionen in Ostfriesland verbunden.