Regelmäßig publiziert die seit 2010 bestehende Stiftung Heritage Crafts im Vereinigten Königreich neue Editionen der „HCA Red List of Endangered Crafts“, der Liste der vom Aussterben bedrohten Handwerke. Dabei werden mehrere hundert Handwerke („crafts“) und Techniken („skills“) analysiert und auf einer an die Naturkunde angelehnte Skala von „Currently viable“ (also aktuell noch überlebensfähig) bis zu „Extinct“ (ausgestorben) eingeordnet.
„Critically endangered“, in prekärer Situation aber theoretisch durch Intervention noch bewahrbar, sind im Vereinigten Königreich unter anderem das Schmieden von Pfeilspitzen, das hauptberufliche Papierschöpfen, die Technik der Herstellung von Enkaustikfliesen sowie mehrere Arten von Korbflechten und das Anfertigen von Strohhüten. In Deutschland dürfte dies nicht anders sein.
Die akute Bedrohung dieser Handwerke liegt in der Regel an einer schrumpfenden Zahl erfahrener Handwerker:innen, da diese zu alt für die Ausübung werden oder aufgrund mangelnder finanzieller Möglichkeiten ihre Betriebe aufgeben müssen. Leider bereits ausgestorben sind im Vereinigten Königreich beispielsweise das Herstellen von handvernähten Cricketbällen und das Mundblasen und Glätten von Glasplatten.
Mit der Bedrohung und dem Aussterben traditioneller Fertigkeiten gehen Kulturwerte verloren. Tätigkeiten, die über Generationen ein Teil des Alltags vieler Menschen war, tragen viele gesellschaftliche Erinnerungen in sich und sind Zeitzeugnisse ihrer Epoche(n). Traditionshandwerke daher noch ‚live‘ ausgeübt zu sehen zeigt die Herstellungsweisen, die Instrumente und Werkzeuge ebenso wie die oft enorme Handarbeit in Fähigkeit und Mühe auf. Gleichzeitig werden die sozialen Praktiken um diese Handwerke herum deutlich, wie beispielsweise Werkstattgefüge, Teamwork, gemeinsames Singen bei der Arbeit und der Umgang mit natürlichen Resourcen und der Umwelt. In der Vergangenheit dominierten manche Handwerke die Lebenswirklichkeiten ganzer Nachbarschaften, die dem gleichen Beruf beispielsweise in Gilden nachgingen und deren Handwerk den Alltag, das Familienleben und die Freizeit beeinflusste. Dieses historische Wissen prägt eine Gesellschaft bewusst und unbewusst. Für die Identitätsbildung und Kultur ist dieses Wissen daher sehr bedeutsam und absolut schützenswert.
Archäolog:innen bemühen sich heute, die Fertigungsweisen antiker Objekte anhand von Arbeitsspuren und gefundenen Werkzeugen zu rekonstruieren. Wenn handwerkliches Wissen erst verloren ist, kann es nur aufwändig und oft unvollständig rekonstruiert werden. Dies soll nicht mit noch heute lebenden aber bedrohten Handwerken geschehen.
Zum Bewahren von bedrohten Traditionshandwerken können wir alle beitragen:

Objekte aus Werkstätten bedrohter Handwerke zu kaufen, bietet direkte Unterstützung. Ebenso werden von vielen Kunsthandwerker:innen Kurse und Workshops angeboten, in denen man Einblicke in Handwerke – auch in bedrohte – erhalten kann. Dies ist ein perfekter Weg, um Techniken und Arbeitspraktiken unmittelbar selbst zu erleben. Spenden an Organisationen, die diese Techniken dokumentieren und bewahren, ist ebenfalls eine gute Art und Weise um zu helfen.
Doch auch ohne persönlichen finanziellen Einsatz kann man einen Beitrag leisten. Wenn diese Handwerke in Berichten behandelt werden, verhelfen Klicks und Views zu Aufmerksamkeit und finanzieller Bedeutung. Im medialen Kontext sind Nutzungsstatistiken bares Geld – was viel angesehen wird, wird immer wieder thematisch aufgegriffen und erhält Aufmerksamkeit. Hier ist natürlich zu differenzieren, in wie fern der/die Handwerker:in unterstützt wird oder ob primär die Videograph:innen oder das produzierende Medienunternehmen profitiert. Dennoch sind solche Berichte wertvoll und werden zudem oft von selbstständigen Filmemacher:innen, Blogger:innen und gemeinnützigen Organisationen aus dem Kunsthandwerksbereich erstellt.
Daher hier der Call to Action: hast Du heute schon ein Video zu einer bedrohten handwerklichen Tätigkeit angesehen? Wir empfehlen beispielsweise den Youtube-Channel von Heritage Craft UK (engl.) und die Reportagen „SWR Handwerk“ (deutschsprachig)!